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Rückschau auf die Veranstaltung „Das Fremde in uns und wir im Fremden“
von Wolfgang Kaiser
Zu Beginn sollte noch einmal der Zusammenhang zwischen der Zukunftswerkstatt und dem Anliegen dieser Veranstaltung erklärt werden. Die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ist bereits mit der Einwanderung von Gastarbeitern in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts heterogener geworden. Spätestens mit dem Zuwanderungsgesetz aus dem Jahr 2005 und der Diplomarbeit (PDF) von Katrin Sauermann, kam das Thema auch in der Bibliothekswelt an, was ja durchaus eine lange Zeit der Anerkennung war.
Vo wenigen Jahren kam es schließlich zur Gründung der dbv-Kommission Interkulturelle Bibliotheksarbeit, deren strategisches Ziel es ist ein „Intercultural mainstreaming“ als Querschnittsaufgabe in allen Bereichen, vom Bestandsaufbau bis zur Personalpolitik umzusetzen. Sauermann bezeichnete Deutschland verglichen mit Australien als Bibliotheksentwicklungsland in Bezug auf die multikulturelle Bibliotheksarbeit. Tatsache ist, dass ein Land wie Deutschland, dass sich ja erst seit wenigen Jahren offiziell als Einwanderungsland versteht zukünftig auch sein Bibliothekswesen auf eine interkulturelle Standards ausrichten sollte, die nicht abhängig sind vom finanziellen Mitteln einzelner Kommunen, die das als „Sonderaufgabe“ verstehen. In sehr vielen Kommunen Deutschlands kann man hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung bereits von einer sog. Majority-Minority sprechen, womit gemeint ist, dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund der dem der anderen Deutschen bei weitem übersteigt. Dieses Soziogruppe ist ebenfalls sehr heterogen, aber bisher wurde auch das zu wenig beachtet, wenn von „den Migranten“ die Rede war. Die Veranstaltung sollte dazu dienen dieses Thema stärker ins Bewusstsein zu rücken und Experten zu Wort kommen zu lassen, die ihrerseits ein wichtigen Input lieferten für die Gäste, die ja größtenteils aus der bibliothekarischen Praxis kamen. Es hängt ja von der Zukunftsfähigkeit der Bibliothek ab, ob sie den Tatsachen der demographischen Entwicklung Rechnung tragen, denn bisher wird die Bibliothek als Einrichtung von nur 30 % der Bevölkerung(PDF) in Deutschland genutzt.
Am Mittwoch, den 7. Oktober um 18 Uhr war es endlich soweit, die Veranstaltung „Das Fremde in uns und wir im Fremden – Wohnen im gemeinsamen Haus Integration und Partizipation“ konnte beginnen. Den Anfang machte die Vorstellung folgender Bücher durch die ebenfalls anwesenden Autoren, die alle Zukunftsthemen beinhalteten und am aktuellen Puls der Entwicklung des Bibliothekswesens sind. Zu den Inhalten kann in diesem einen Blogeeintrag nicht zu ausführlich Bezug genommen werden kann (Mehr dazu unter: Simon Verlag).
- Wolfgang Kaiser: Diversity Management– Eine neue Managementkultur der Vielfalt- für ein neues Image der Bibliotheken.
Diversity Management will die Heterogenität von Mitarbeitern mit ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen, Erfahrungen und wahrnehmbaren Unterschieden als Bereicherung einer (Non-)Profitorganisation nutzen. Die Bibliothek als öffentlicher Ort der Kommunikation, sollte die kulturelle Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln. Zielgerichtetes DiM könnte in Deutschlands Bibliotheken eine strukturelle Veränderung in die Wege leiten, so dass in Zukunft nicht allein ihre Dienstleistungen, sondern auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter persönlich die Vielfalt einer individualisierten und pluralistischen Gesellschaft mit unterschiedlichen Lebensstilen ethnischen und religiösen Herkünften, unterschiedlichen Altersstrukturen und Wertorientierungen widerspiegeln.
- Maria Kabo: Die Bibliothek als Integrationsfaktor
Der zunehmenden Forderung nach dem Zugang zu den Informationen und Informationsquellen steht immer noch die mangelnde Informationskompetenz großer Teile der Bevölkerung entgegen. Wenn die Öffnung und die Nutzung der Informationen in Zukunft auch über den wirtschaftlichen Standort der Länder und Staaten entscheiden werden, ist dies ein bedrohliches Bild, auch gesamtstaatlich. Das Buch untersucht an Beispielen die Integrationsarbeit einzelner Bibliotheken und zeigt damit Wege der Praxis, wie die Vermittlung von Informationskompetenz für Migranten neben oft hohlen Absichtserklärungen praktisch umgesetzt werden kann.
- Franziska Ahlfänger: Jugend – Bildung – Bibliotheken: Modelle der Finanzierung und Projektförderung. Mit praktischen Beispielen. Mit einem Vorwort von Barack Obama.
In ihrem Buch „Jugend – Bildung – Bibliotheken. Modelle der Finanzierung und Projektförderung“ (Simon Verlag für Bibliothekswissen 2009; 176 Seiten) geht Franziska Ahlfänger der Frage nach dem Ausbau und der Finanzierung von Jugendbibliotheken nach. Dabei liefert sie eine Fülle von Ansätzen und Ideen, wie solche Jugendbibliotheken konzipiert und finanziert werden können. Grundthese der Autorin ist, dass die Zielgruppe der Jugendlichen ein bedeutender Zukunftsfaktor für Öffentliche Bibliotheken ist und eigenständig betrachtet werden muss. Aufgrund der Definitionsschwierigkeit dessen, was „Jugend“ sei, verwendet die Autorin einen sozialwissenschaftlichen, dynamischen Jugendbegriff, der diesen Entwicklungsabschnitt über die Lebensspanne verortet.
- Prof. Günter Beyersdorff (HU Berlin und Gutachter von M.Schulz): Soziale Bibliotheksarbeit – „Kompensationsinstrument“ zwischen Anspruch und Wirklichkeit im öffentlichen Bibliothekswesen von Manuela Schulz
Das Buch analysiert die verschiedenen Sichtweisen auf das Konzept der Sozialen Bibliotheksarbeit in der Bundesrepublik Deutschland von 1970 bis heute, die Tragweite und Möglichkeiten, die dem unter dem diesem Begriff erfassten konzeptionellen Spektrum in diesem Zusammenhang zukommen. Gerade die sich seit mehreren Jahren abzeichnende strukturelle bzw. Jugendarbeitslosigkeit, Integrationsprobleme und öffentlich thematisierte Bildungsunterschiede veranlassen Bibliothekare, sich intensiver mit der Problematik auseinanderzusetzen.
Anschließend wurden vor allem über die Themen (soziale) Teilhabe, Integration, Lebenslanges Lernen, Bibliotheksverständnis, Antidiskriminierung und Mehrsprachigkeit im Round Table heiß diskutiert. Die Gäste beim waren Herr Prof. Dr. Hobohm (Dekan, FH Potsdam), Frau Lourina de Voogd (Vereniging van Openbare Bibliotheken VOB, Netherlands Public Library Association, Den Haag), Herr Mark Terkessidis (Migrationsforscher, Radiomodertor und Autor), Frau Canan Bayram, (Migrationspolitische Sprecherin der Grünen, MdA) und der Leiter des Afrikahauses Berlin, Oumar Diallo.
Im Einzelnen kann auch hier nur auf wichtige Statements eingegangen werden. Herr Terkessidis meinte, dass Bibliotheken es in der Vergangenheit nicht geschafft haben der Politik und der Öffentlichkeit ihre Rolle als Ort des Lebenslangen Lernens zu vermitteln im Gegensatz zu anderen Kultur- und Bildungseinrichtungen. Zudem nannte er auch andere Kultureinrichtungen, die sich bisher noch nicht interkulturell geöffnet haben hinsichtlich einer Zielgruppenorientierung, die außer der „weißen Mittelschicht“ und des Bildungsbürgertums auch Migranten als Schauspieler im Theater etwa einstellt. Dasselbe gilt natürlich auch für Bibliotheken.
Prof. Dr. Hobohm sprach von einer Technologieüberwertung, die uns nun wieder auf den Menschen zurückwirft und plädierte für eine Betonung der Bibliothek als „Ort der Begegnung“. Er stimmte der Tatsache von W. Kaiser zu, dass sie eine monokulturelle Einrichtung ist, aber forderte gleichzeitig auf, auch andere Kulturen stärker zu vermitteln als die „alten Werte“ der Antike. Für den Bibliothekar / die Bibliothekarin hofft Prof. Hobohm, dass diese zukünftig stärker „das Fremde“ in sich tragen.
Frau De Voogd machte auf die schlimme Entwicklung in den Niederlanden aufmerksam, wo es nun politische Mehrheiten gibt, welche die Kosten der bisherigen Migration ermitteln wollen, was dem politischen und sozialen Klima eher schadet.
Herr Diallo forderte eine stärkere Zugänglichmachung der Bibliothek für aus Afrika stammende Menschen, deren Informationsbedürfnisse und deren Bibliotheksverständnis den Bibliothekaren noch nicht bekannt sind. Frau Bayram verwies auf den New Green Deal (Stichwort Migration Budgeting), der einige Vorschläge macht, wie bestimmte Migranten stärker teilhaben und partizipieren könnten. Speziell für die Berliner Stadtteilbibliotheken insbesondere in Friedrichshain wünscht sie sich einen Mindeststandard an Interkulturalität. Dennoch betonte sie, dass Bibliotheken schon recht viel anbieten. Was durchweg auf positive Zustimmung stieß – auch später bei den Statements der Bibliothekare im Publikum -, war die Einladung von Frau Bayram von Berliner Schulklassen ins Berliner Abgeordnetenhaus, um dort vor Ort von den Kindern zu hören, was sie bewegt und was sie sich von und für Bibliotheken stärker wünschen. Zudem verwies sie auf die Chancen der Mehrsprachigkeit, die Sichtbarkeit, Offenheit und das Verbindende schaffen, was ja durchaus zu bemerken war an den Gästen des Round Table, aber auch an den Autoren, die allesamt einen Migrationshintergrund vorweisen konnten.
Eine Wortmeldung als die Teilnehmer mit Migrationshintergrund gefragt wurden, ob sie denn noch Ihre Herkunftskultur pflegen, sorgte bei so manch einem Gast für Kopfschütteln. Spätestens bei der Beantwortung der Frage wurde hoffentlich allen klar, dass Kulturen schon immer nebeneinander existiert haben und deren Einflüsse in einer Wechselwirkung miteinander stehen und somit auch die türkische, die DDR-Kultur, die griechische, die afrikanische (aus Guinea) und estnische Kultur sehr heterogen zu interpretieren sind.
Am Ende sprach sich Herr Terkessidis für mehr Flexibilität im Denken und der Offenheit Neues zu probieren, aus. Diese Forderung war nicht nur an Bibliothekare und Bibliothekarinnen gerichtet, sondern an die typische Haltung vieler Deutscher, die bisher immer nach dem Prinzip „wir tun das, weil man es immer schon so gemacht hat“ vorgehen. Frau De Voogd verwies auf die Publikation des IFLA Multicultural Library Manifesto in 14 Sprachen.
Es konnten zwar nicht alle Fragen beantwortet werden, aber dennoch war diese Veranstaltung sehr gut besucht und das Thema wird hoffentlich dank der Zukunftswerkstatt, anderen Multiplikatoren und Bibliothekaren aus dem Nischendasein verschwinden, welche die Interkulturelle Bibliotheksarbeit als Sonderaufgabe versteht, wie es momentan ja noch der Fall ist. Auf Anfrage ist es möglich eine Aufzeichnung der Veranstaltung vom Simon-Verlag für Bibliothekswissen zu erhalten.